Erkrankungen der Wirbelsäule

Dr. Martin Pinsger
Facharzt für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
ordination.dr.martin@
pinsger.at
Anatomie der Wirbelsäule
Die Wirbelsäule besteht aus 33 Wirbeln, 7 Hals-, 12 Brust-, 5 Lenden-, 5 Kreuz- und 4 Steißwirbel, wobei die Kreuz- und Steißwirbel in der Regel zum Kreuz- bzw. Steißbein verschmolzen sind. Vom 2. Halswirbel bis zum Kreuzbein liegen zwischen zwei Wirbel die Zwischenwirbelscheiben (Bandscheiben, Disci), insgesamt 23. Diese bestehen aus einem äußeren Faserknorpelring (Anulus fibrosus) und einem inneren gallertigen Kern (Nucleus pulposus).
Ein Bandapparat (vorderes/hinteres Längsband) trägt zur passiven Stabilisierung der Wirbelsäule bei und sichert die Lage der Zwischenwirbelscheiben. Die drei große Muskelgruppen des Rumpfes (Rücken-, Bauchwand- und Brustmuskulatur) führen in ihrem Zusammenspiel zu einer aktiven Verspannung und Stabilisierung der Wirbelsäule. Durch die Anspannung der Bauchmuskulatur wird der intraabdominelle Druck erhöht und dadurch die mittleren und unteren Wirbelsäulenabschnitte gestützt.
Ein junges, gesundes Bandscheibensegment hat eine ausreichend hohe Bandscheibe, sodass das vordere und hintere Längsband angespannt bleiben. Die Wirbelgelenke berühren einander und sind für die exakte Bewegungsführung verantwortlich. Die Nervenwurzelaustrittslöcher sind weit und die Nervenwurzel wird bei keiner noch so akrobatischen Bewegung berührt. Die rund um das Segment aktive Muskulatur wird regelmäßig trainiert, hat ausreichend Regeneration und einseitige Zwangshaltungen werden vermieden. Das wäre der Idealfall. Allerdings unterliegt die Wirbelsäule vielfältigen oftmals unphysiologischen Belastungen sowie individuellen Faktoren.
Erkrankungen der Wirbelsäule reichen von Lumbalgie (akuter/chronischer Kreuzschmerz), Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall mit /ohne Nervenwurzelbeteiligung bis hin zu degenerativen Veränderungen an den Bandscheiben, Wirbelkörpern und Intervertebralgelenken (Zwischenwirbelgelenken).
Muskuläre Dysbalance - Verkürzung - Abschwächung
Erkrankungen der Wirbelsäule im Jugendalter betreffen vor allem die Muskulatur. Muskuläre Verkürzungen, Verspannungen und Abschwächungen sind oftmals die erste Konfrontation mit Schmerz und Bewegungseinschränkung. In diesen Fällen helfen gezielte, speziell auf die berufliche oder sportliche Aktivität passende Gymnastik und eine Optimierung der Haltung und Bewegung. Sollten die Beschwerden auf diese einfachen und harmlosen Aktivitäten nicht alsbald verschwinden, ist eine weitere Diagnostik unverzichtbar!
Hypermobilität - Instabilität - dehydrierte Bandscheibe
Im Laufe der Jahre kommt es - ausgelöst z.B. durch Bewegungsmangel, zu kurzen Regenerationszeiten, Zwangshaltungen, manuelle Handhabung von Lasten - zur Dehydrierung (Wasserverlust) der Bandscheiben. Diese nun an Höhe deutlich reduziert, lassen die Längsbänder erschlaffen, die Wirbelkörper werden zueinander hypermobil (“überbeweglich“) oder gar instabil. Die früher als angenehm empfundene Gymnastik wirkt nun vor allem im Schmerz kontraproduktiv. In dieser Situation sollten der Koordination (nicht aus dem Kreuz heben, Wirbelsäule möglichst aufrecht und Kraftübertragung beim Heben aus den Oberschenkeln) sowie den stabilisierenden Übungen der Vorzug gegeben werden (Trainieren der Bauchdecken, Rückstrecker). Kurzfristig kann auch das stundenweise Tragen einer leichten Lendenstützbandage hilfreich sein.
Bandscheibenprotrusion (Vorwölbung)
Wölben sich die Bandscheiben nach hinten und dehnen das hintere Längsband übermäßig, so wird eine Alarmsituation ausgelöst. Bandscheibengewebe darf nicht in den Wirbelkanal eindringen, da die Gefahr einer Nervenlähmung viel zu groß wäre! Der einsetzende akute Schmerz ist extrem und führt in vielen Fällen zu kurzfristiger völliger Bewegungsunfähigkeit (akute Bandscheibenprotrusion oder auch „Hexenschuss“). Dringende Schonung ist angezeigt! Allerdings bedeutet dies nicht nur im Bett liegen, sondern sanfte Bewegung, Gehen kurzer Strecken oder gezielte Übungen. Medikamente können in solchen Fällen sehr hilfreich sein. Erst wenn der Schmerz völlig abgeklungen ist und Belastbarkeit besteht, sollte die Arbeit wieder aufgenommen werden. Der häufigste Fehler in dieser Erkrankungsphase ist das Weiterarbeiten unter Schmerzen und dadurch die weitere Schädigung der Wirbelsäule durch die massiv verkrampfte Muskulatur.
Raumfordernde Protrusion - Bandscheibenvorfall - Prolaps subligamentär - Sequester
Wird diese erste intensive Krankheitsphase nicht zur Regeneration und Schonung genutzt, entsteht häufig aus der Bandscheibenprotrusion der Bandscheibenvorfall. Das hintere Längsband reißt durch und der nun frei werdende Nucleus pulposus tritt als Sequester in den Rückenmarkskanal ein. Je nach Größe und Lage werden Rückenmark und Nervenwurzeln komprimiert. Der reine Kreuzschmerz erlischt augenblicklich und wird von einem kaum zu ertragenden Beinschmerz als Ausdruck der Nervenkompression abgelöst.
Prolaps mit neurologischem Defizit
Es kann einige Tage dauern bis das ganze Ausmaß der Nervenschädigung zum Ausdruck kommt. Bei ausgeprägten neurologischen Defiziten ist die sofortige Operation der einzige Weg um Dauerschäden zu vermeiden.
Facettensyndrom
Häufig sind es jedoch nicht die Bandscheiben, die für den Schmerz verantwortlich sind, sondern inflammierte (entzündete) arthrotische Zwischenwirbelgelenke. Betroffene klagen über Schmerzen beim Aufrichten nach längerer Arbeit in vorgebeugter Zwangshaltung, aber auch über Rotationsschmerz in der Nacht beim Umdrehen.
Foraminalstenose
Durch verschiedenste Faktoren wie z.B. degenerative Vorgänge, Höhenverlust der Bandscheibe, Arthrosen der Wirbelgelenke, Bandscheibenvorwölbungen, kann es zu Engstellen der Zwischenwirbellöcher kommen. Diese Foraminalstenose kann eine andauernde oder nur bewegungsabhängige Nervenkompression auslösen, wodurch Schmerzen, Taubheitsgefühl oder Lähmungen auftreten.
Vertebrostenose
Wird der gesamte Wirbelkanal eingeengt, so entsteht die Vertebrostenose. Die Betroffenen haben meist keine typischen neurologischen Defizite, sondern klagen über massive Kreuzschmerzen und Beinschmerzen und je nach Ausmaß über eine eingeschränkte Gehstrecke (Claudicatio spinalis).
Skoliose
Eine relativ häufige Erkrankung der Wirbelsäule stellt die Skoliose dar. Dabei besteht eine fixierte Verkrümmung mit Verdrehung der Wirbelsäule und sekundär der Rippen. Die Früherkennung und Behandlung während des Körperwachstums sind sehr wichtig, da diese Diagnose auch für die Berufswahl eine bedeutende Rolle spielt. Durch die dreidimensionale Verformung der Wirbelsäule wird das s.g. Drehgleiten begünstigt. So kann es bei Zwangshaltungen oder beim Heben und Tragen schwerer Lasten frühzeitig zu einem Drehgleiten kommen und dadurch Wirbelgelenke und Nervenwurzeln einer vermehrten Kompression ausgesetzt werden. Berufswahl und lebenslange Gymnastik sind somit wichtige Faktoren zur Vermeidung von Beschwerden.
Osteoporose
Ab dem 40. Lebensjahr kommt es im Rahmen des natürlichen Alterungsprozesses zu einem Knochenabbau, wobei vor allem Frauen betroffen sind. Allerdings kann eine Osteoporose auch durch Medikamenteneinnahme wie Cortison, durch Einwirkung von Schadstoffen wie Cadmium oder Phosphor, bei Bewegungsmangel und durch eine Vielzahl weiterer Faktoren hervorgerufen werden. Die Osteoporose wird oftmals spät erkannt, da beim Auftreten von Schmerzen (z.B. bedingt durch Wirbelfrakturen) die Knochenmasse schon beträchtlich reduziert ist. Medikamentöse Therapien ermöglichen zwar eine Stabilisierung aber nur wenig Knochenaufbau.
Die manifeste Osteoporose ist meist eine Erkrankung des Pensionsalters. Sollte sie allerdings einmal früher auftreten, so ist der Arbeitsprozess dadurch hochgradig beeinträchtigt!
Weiter zu Teil 2: Erkrankungen der große Gelenke und Peripherie