Betrieb und Gesundheit - Erfolgreich intervenieren

Autor



Dr. Herbert Friesenbichler
Arbeitspsychologe
AUVA - HUB
hub@auva.at

Betriebe sind ein interessantes und begehrtes gesundheitspolitisches Interventionsfeld. Sie sind zunächst Normadressat von gesetzlichen Bestimmungen, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten. Sie sind aber auch Adressaten von mannigfaltigen gesundheitsbezogenen Angeboten und Initiativen jenseits des gesetzlichen ArbeitnehmerInnenschutzes. Ein Betrieb ist ein sozial und organisatorisch relativ stabiles und fest umrissenes Setting, in dem Menschen leichter zu erreichen sind als in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Zudem werden Gesundheit und Leistungsfähigkeit als Produktivitäts- und Wettbewerbsfaktoren für viele Betriebe immer interessanter, sodass man bereit ist, über die gesetzlichen Notwendigkeiten hinaus gesundheitsbezogene, präventive Initiativen zu fördern. Häufig werden solche Initiativen in Form eines Gesundheitsprojektes durchgeführt. Aber nicht jedes Projekt ist erfolgreich oder führt gar zu nachhaltigen Veränderungen.

Stolpersteine und Erfolgsfaktoren

Ob gesundheitsbezogene Interventionen gelingen oder nicht, ist nicht vom Zufall abhängig. Es gibt eine Reihe von (kritischen) Erfolgsfaktoren, die sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung von Gesundheitsprojekten oder Präventionsbemühungen in den Betrieben berücksichtigt werden sollten.

1. Was ist Erfolg?

Das erste Kriterium für eine erfolgreiche gesundheitsbezogene Intervention ist eine realistische Erfolgsdefinition. Es ist klug, sich darüber im Klaren zu sein, was ein Projekt oder eine Intervention zu leisten vermag und was nicht. Oft werden überzogene Erwartungen gehegt, oft werden Erfolgskriterien nicht genau definiert, oft werden Ziele gesetzt, deren Überprüfung schwer möglich ist. Das hat manchmal damit zu tun, dass Projektideen unter Vorspiegelung unrealistischer Erfolgsversprechungen "verkauft" werden.

Ziele können quantitativer Art (z. B. Senkung der Krankenstandsquote) oder qualitativer Art (z. B. Erhöhung der Arbeitszufriedenheit) sein. Ziele können aber auch kurzfristiger überprüfbar (z. B. Teilnahmequote bei einer Aktion) oder langfristiger Natur (z. B. eine veränderte Gesundheitskultur) sein. Wichtig ist auf jeden Fall, vor Beginn eines Projektes Ziele realistisch zu definieren und sie einer Überprüfung zugänglich zu machen. Gerade bei Gesundheitsprojekten ist das nicht immer leicht, weil Gesundheit ein vielschichtiges Phänomen ist und Erfolge selten kurzfristig erreichbar sind.

2. Welcher Logik entspricht ein Projekt?

Mit einer Gesundheitsinitiative werden nicht nur bestimmte Absichten oder Ziele verfolgt. Meist steht auch eine gewisse (ausgesprochene oder unausgesprochene) Erfolgslogik hinter der Idee. Damit ist die Begründung gemeint, warum mit einem bestimmten, geplanten Vorgehen ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Nun werden Projekte häufig von GesundheitsexpertInnen geplant. Diese folgen oft einer vernunftbegründeten rationalen Logik. (z. B. weil etwas krank machen kann, soll es vermieden werden). Es wird darauf vertraut, dass die involvierten Menschen dieser Logik folgen und ihr Gesundheitsverhalten im Betrieb entsprechend modifizieren.

Das Gesundheitsverhalten einzelner Menschen orientiert sich allerdings selten an objektiven, rationalen Vernunftüberlegungen. Vielmehr sind es subjektive Überzeugungen oder subkulturelle geformte Verhaltensmuster (Gruppennormen), die den alltäglichen Umgang mit der eigenen Gesundheit formen. Diese subjektiven "Gesundheitstheorien" und Lebenspraktiken, diese individuellen Arrangements mit den bestehenden Verhältnissen sind relativ veränderungsresistent. Mit Vernunftargumenten kommt man da nicht weit. Vielmehr müssen diese alltäglich gelebten Verhaltensmuster in die Planung und Umsetzung eines Projektes miteinbezogen werden.

3. Wo setzt ein Gesundheitsprojekt an?

Grundsätzlich sind zwei Ansatzebenen möglich: Einerseits die Person (Gruppe) bzw. deren Verhalten, andererseits die Arbeitsbedingungen, die betriebliche Struktur oder Kultur. Viele Projekte sind "personenlastig", das heißt, man versucht die Verhaltensgewohnheiten von Menschen zu verändern. "Menschliches Fehlverhalten" wird sehr gerne als Ursache von Unfällen und Erkrankungen diagnostiziert und zum Ansatzpunkt von Veränderungsprojekten gewählt. Ein Grund ist sicher, dass dies (scheinbar) leichter geht. Tatsächlich ist aber Verhaltensänderung nicht leicht zu erreichen. Zum einen aus dem oben beschriebenen Grund der Veränderungsresistenz gewohnter Muster. Zum anderen auch deshalb, weil Menschen sich in der Regel nicht "fehlverhalten", sondern immer das für sie in der jeweiligen Situation passende Verhalten wählen. Fehlverhalten wird immer aus der Außenperspektive, von den ExpertInnen, festgestellt. Das Verhalten von Menschen ist zudem immer eingebettet in die betriebliche Kultur. Es ist so gut wie unmöglich, Verhalten zu verändern, wenn dies im Widerspruch zur jeweiligen Kultur bzw. zu den Gesamtarbeitsbedingungen steht. (z.B. hohes Arbeitstempo, das unsicheres Verhalten provoziert).

Sicherheits- und gesundheitsgerechtes Verhalten ist daher immer auch geknüpft an die Veränderung von Arbeitsbedingungen. Die Gestaltung der Bedingungen und das Verhalten der Beschäftigten weist in der Regel eine gewisse Konsistenz auf. Wenn die wirtschaftlichen Interessen des Betriebes und die Gesundheitsinteressen der beschäftigten nicht kompatibel sind, werden verhaltensbezogene Projekte nur "kosmetische" Wirkung haben.

Die Veränderung der Arbeitsbedingungen im Sinne einer kulturellen Weiterentwicklung verlangt ebenfalls die Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten der jeweiligen inneren Logik eines Betriebes. Das zur Verfügung stellen von Wissen oder Ratschlägen, das in der Regel ein "Besserwissen" ist, führt nicht zu nachhaltigen Veränderung der betrieblichen Kultur. Kultur besteht in ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln, Normen, Werten, Denkweisen, Haltungen und Interaktionsmustern (Arbeits- Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen). Diese Dimensionen können nicht von außen, sondern nur von innen verändert werden. Das ist in der Tat ein anspruchsvoller Prozess. Die Änderung des technischen Systems (der "hard ware") ist zu wenig.

Kulturentwicklung geht nicht ohne die Partizipation der betroffenen Beschäftigten und der ArbeitgeberInnen. Nur so kann Identifikation mit den vorhandenen Werten und Strukturen erzielt und damit einhergehend konsistentes Verhalten nachhaltig hervorgebracht werden.

4. Wer soll mit einem Gesundheitsprojekt erreicht werden?

Nicht immer ist ein ganzer Betrieb oder alle Beschäftigten das Ziel von Veränderungsbemühungen. Es kann sich um eine Abteilung oder eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten (Lehrlinge, ältere ArbeitnehmerInnen, Frauen, Männer, ausländische Beschäftigte…) oder auch um ein spezifisches Problem (ergonomische Arbeitshaltung, Stress, Rauchen…) handeln. Es sind also je nach Ziel und geplanter reichweite sinnvolle Abgrenzungen vorzunehmen. Im Konzept der Gesundheitsförderung hat sich diesbezüglich der so genannte "Settingansatz" bewährt.

Unter Setting versteht man ein abgegrenztes soziales System, das die Bedeutung der Rahmenbedingungen, unter denen Menschen arbeiten, ins Kalkül mit einbezieht.

Die Grenzen eines für ein Projekt bedeutsamen Settings sind die für die jeweilige Gesundheitsthematik relevanten Strukturen und Rahmenbedingungen. Sie umfassen die das Gesundheitsverhalten wechselseitig beeinflussenden

  • ökonomischen
  • sozialen
  • milieuspezifischen
  • betriebsspezifischen

Grundlagen, Traditionen und Möglichkeiten. Es geht also um die Steuerung des Kontextes, in dem individuelles und gruppenspezifisches Gesundheitsverhalten eingebettet ist.

5. Wie wird ein nachhaltiger Erfolg erzielt?

Der Begriff "nachhaltig" bedeutet im Zusammenhang mit Prävention eine bleibende, dauerhafte Veränderung in Richtung Gesundheit und Sicherheit im Betrieb. Häufig verflüchtigt sich der Erfolg eines Gesundheitsprojektes nach dessen Ende sukzessive. Da ein Projekt grundsätzlich eine temporäre Organisationsform zur Bearbeitung besonderer Aufgaben darstellt, ist es wichtig, einen über das Projektende hinausreichenden Erfolg sicherzustellen. Folgende Bedingungen begünstigen einen nachhaltigen Erfolg.

  1. Ein Betrieb betrachtet Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten neben anderen Betriebszielen als gleichwertiges Ziel. Das heißt, ein Betrieb macht gesunde Politik, indem gesundheitsrelevante Kriterien in Entscheidungen miteinbezogen werden. Prävention wird nicht als lästige gesetzliche Verpflichtung gesehen, sondern als Chance. Diese kulturelle Grundhaltung kann entweder selbst im Rahmen eines Projektes erarbeitet werden, oder sie ist Basis für andere, themenbezogene Projekte.
  2. Gesundheitsinitiativen beschränken sich nicht auf Verhaltensmodifikation der Beschäftigten. Vielmehr werden die für das Verhalten relevanten Rahmenbedingungen mit bearbeitet. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung möglicher Gesundheitsschäden, sondern auch um eine menschengerechte, gesundheitsfördernde Gestaltung von Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebung.
  3. Erfolgreiche Gesundheitsprojekte kommen ohne Zwang oder moralisierende Appelle aus. Sie erarbeiten alternative Sichtweisen und Verhaltensmöglichkeiten.
  4. Dazu ist eine aktive Beteiligung der betroffenen Beschäftigten Grundvoraussetzung. Beteiligung in Form gemeinsamer, auf Gesundheit bezogene Aktivitäten ist ein sozialer Lernprozess, der die Identifikation mit den Ergebnissen sowie die individuelle Gesundheitskompetenz fördert.

Je systematischer in einem Betrieb das Thema Gesundheit (und Sicherheit) präsent ist und berücksichtigt wird und je stärker die Beschäftigten mitreden können, desto größer ist die Chance, dass themenbezogene oder gruppenbezogene Gesundheitsprojekte nachhaltigen Erfolg bringen.